Galerie - private art box

Acryl und Blattgold auf Holzbox, kleine Figuren in der Box: Das Projekt „private art box“ besteht aus alten, selbstgebauten Diaboxen meines verstorbenen Großvaters. Ich habe diese von ihrem eigentlichen Zweck, der Aufbewahrung von Dias, entfremdet und setzte sie in einen völlig neuen Bezug zur Kunst und der damit verbundenen Kommunikation. Die insgesamt 27 Kästen sind alle unterschiedlich groß und unterschiedlich bestückt. Denn jede der Boxen ist nicht nur ein Kunstwerk für sich, sondern birgt auch ein Geheimnis das sich im Inneren der Boxen versteckt. Zwischenmenschliche Beziehungen sind ein sehr wichtiger Aspekt in meinen Werken. So spiegeln sich Erinnerungen, Emotionen und Erfahrungen in jeder der Holzboxen und ihrem Innenleben wider. Bei den Boxen ist je ein Stück Ursprungsbox freigelegt, denn unter der ganzen Kunst bleiben es immer noch Opas Diaboxen. Nur etwas anders. Die zum Teil frivolen Szenen im Innern der Boxen sind ein weiterer Einblick in das Leben der Menschen.

Acrylic and gold leaf on wooden box, with small figures in the box: The project “private art box” is based on old, handmade slide boxes crafted by my late grandfather. I have separated them from their original purpose (slide storage) and reimagined them as works of art. Each of the boxes is not only a work of art in itself, but also holds a secret. Interpersonal relationships are a very important aspect of my work. Each box reveals a piece of the original box underneath, because they are still grandpa's slide boxes. Just slightly different. The sometimes frivolous scenes inside the boxes offer another insight into people's lives.


 

 

 

Katalog:


Karin Angerer
private art box


Naumann Beck | Verlag für kluge Texte

 

 

 

 

„Auf einem Kongress hat ein Dreißigjähriger zu mir gesagt: 'Muss ein Siebzigjähriger wirklich noch Viagra nehmen? Der hat doch schon genug schöne Sachen mitgemacht.' Ich habe geantwortet: 'Okay, gehen Sie zu Ihrem Großvater und sagen Sie ihm: Du brauchst keine Brille mehr, du hast schon genug gesehen.'"    Oswalt Kolle

Das Projekt Private Art Box umfasst 27 außen bemalte und innen mit szenisch arrangierten Figürchen bestückte Holzboxen verschiedener Größe, die Karin Angerer seit Herbst 2022 erarbeitet. Das Projekt ist jetzt im Sommer fertiggestellt. Hier im Katalog sind 22 dieser Boxen aufgeführt.

Die Boxen selbst sind Fundstücke. Der Großvater der Künstlerin hat als begeisterter und peinlich akkurater Fotograf nach jeder ausgedehnten Reise ein eigenes Kästchen aus Sperrholz für die auf dieser Reise entstandenen Diapositive gebaut. Höhe und Breite ergab sich dabei aus der Anzahl der zu archivierenden Diapositive, die Tiefe blieb naheliegend stets gleich.

Ohne die Beziehung zum Großvater näher zu schildern und ohne Hintergründe zu erläutern, spricht Angerer doch davon, dass Private Art Box „von persönlichen Erlebnissen geprägt“ sei. Die Arbeit an den Private Art Boxes ist also eine an der Familiengeschichte, nicht objektiv, historisch, auf Kongruenz bedacht, sondern subjektiv, situativ, wie Inseln im Meer gemeint. Es ist vor allem und zuerst Erinnerungsarbeit, die in den Front- oder Titelmotiven empathisch begegnet, vielleicht zurück sinnt. Ein Epitaph im Gedenken an den fotografierenden Großvater.

Auch das von Angerer gestaltete Innenleben gehört zur Gedächtnis-, zur Erinnerungsarbeit. Mit Figürchen, die sie auf den innenliegenden Regalen der Boxen zu szenischen Ereignissen arrangiert, erzählt sie – wohl weniger vom Leben des Großvaters als vielmehr vom Leben heute und allgemein. Das zuweilen Frivole in den Arrangements ist durchaus keine Kritik an
irgendwelchen Umständen oder Defekten unserer Zeit, sondern verweist darauf, dass wir Menschen eben nicht bloß zivilisiert und reflektierend sind, sondern auch kreatürlich, wollend und auslebend.

Oswald Bumke hat sinngemäß formuliert, dass junge Menschen das Vergehen und Sterben für eine „schlechte Angewohnheit der alten Leute“ halten, die sie nichts anginge. Ich glaube, dass bei der Künstlerin im besten Alter genügend Vanitas in Private Art Box steckt. Vorausschauend auf die eigene Endlichkeit, werfen wir einen scharfen, präzisen Blick zurück, der das, was war im Leben, nicht verbrämt, sondern als das sieht, was es war und ist. Die Gewissheit um die Unerbittlichkeit des eigenen Todes macht selbstbewusst.

„Wenn ich in meinem Bild bin, bin ich mir nicht bewußt, was ich tue. Erst nach einer Periode des Vertrautwerdens sehe ich, was ich gemacht habe.“     Jackson Pollock

Die Private Art Boxes haben auch lexikalischen Charakter. Die Motive sind in verschiedenen Malstilen entstanden, welche Karin Angerer in den vergangenen zehn Jahren entwickelt und angewandt hat. Das Besondere, Allgemeingültige aber, der künstlerische Impetus lässt sich anhand weniger Merksätze beschreiben.

Erstens. Das Einzigartige, das eine dreidimensionale Kunst zu leisten vermag, ist die Revitalisierung des Raumes. Ein Waldstück im Goldrahmen verweist auf die Idee von Wald. Es soll ein Fenster sein. Die Boxen, die per se bildhauerisch dreidimensional begegnen und auch so gemeint sind, verweisen einmal auf die Idee der räumlichen Arbeit, sind aber gleichzeitig nicht gegenständlich, nicht naturalistisch, so wenig wie gegenstandslos. Es wird öfter gefragt, was hinter einem Bild stecke. Eigentlich befindet sich ja dort lediglich die nackte Wand.

Zweitens. Die Boxen kreisen um die Begriffe Material und Zeichen, innen und außen.

Drittens. Zeichen tragen stets eine Bedeutung, sie sind zielgerichtet auf einen Empfänger. Symbole sind Steigerungen von durch Übereinkunft allgemein verständliche und gesetzmäßig wiederholbare Zeichen.

Das Rätsel der Sichtbarkeit in der Kunst besteht darin, dass ein Kunstwerk etwas sichtbar macht, indem es aus dem Sichtbaren (dem Seh-Material) schöpft und selbst zu einem Sichtbaren wird, das uns als etwas scheinbar nie Gesehenes anrührt, fasziniert oder verschreckt. Eine Tautologie? Ja, es bedeutet aber etwas zutiefst einfaches:  Von nichts kommt nichts. Und das bedeutet etwas hoch Komplexes. Ein auf nichts als sich selbst verweisendes Bild (eines, das als konkret eingeordnet wird zB), kann, so unverständlich es auch erscheinen mag, nur entstanden sein aus etwas vorliegendem.

Wofür steht das Blattgold, das jede Box ziert?

„Man erfand Kleidung, um die Oberfläche zu bedecken und das Innere zu entdecken.“     Andrzej Majewski

Dass es ein Außen und ein Innen der Private Art Boxes überhaupt gibt, ist von Relevanz. Denkt man über Majewskis Bonmot nach, so fasst es die zweigeteilte Erbsünde zusammen, das Erlangen von Gott vorbehaltenem Wissen (das es ja auch in der griechischen Mythologie gibt) und gleichzeitig daraus die Befähigung des Menschen, Erkenntnis zu erlangen
(zusammengefasst und miniaturisiert darin, dass Mann und Frau einander erkennen). Auch darob machen die Sexszenen aus Figürchen großen Sinn – und nicht nur großen Spaß.

Sich an ihren Großvater erinnernd möchte uns Karin Angerer mit den Private Art Boxes gemahnen, dass wir Menschen das Paradies verloren, ein sorgloses ewiges Leben verwirkt haben, aber dafür etwas für das Menschengeschlecht weit Größeres und Einzigartigeres erlangt haben: Erinnern und Träumen, Gedenken und Hoffen.

Mathias Beck
Juni 2023